Donnerstag, 16. Juni 2016

Die drei Söhne








Drei Frauen wollten am Brunnen Wasser holen. Nicht weit davon saß ein alter Mann auf einer Bank und hörte zu, wie die Frauen ihre Söhne lobten.
„Mein Sohn“, sagte die erste, „ist so geschickt, daß er alle anderen hinter sich läßt …“ „Mein Sohn“, sagte die zweite, „singt so schön wie die Nachtigall! Es gibt keinen, der eine so schöne Stimme hat wie er …“
„Und warum lobst du deinen Sohn nicht?“ fragten sie die dritte, als diese schwieg. „Er hat nichts, was ich loben könnte“, entgegnete sie. „Mein Sohn ist nur ein gewöhnlicher Knabe, er hat nichts Besonderes an sich und in sich …“
Die Frauen füllten ihre Eimer und gingen heim. Der alte Mann aber ging langsam hinter ihnen her. Die Eimer waren schwer und die abgearbeiteten Hände schwach. Deshalb legten die Frauen eine Ruhepause ein, denn der Rücken tat ihnen weh.
Da kamen ihnen drei Jungen entgegen. Der erste stellte sich auf die Hände und schlug Rad um Rad. Die Frauen riefen: „Welch ein geschickter Junge!“ Der zweite sang so herrlich wie die Nachtigall, und die Frauen lauschten andachtsvoll mit Tränen in den Augen. Der dritte Junge lief zu seiner Mutter, hob die Eimer auf und trug sie heim.
Da fragten die Frauen den alten Mann: „Was sagst du zu unseren Söhnen?“ „Wo sind eure Söhne?“ fragte der alte Mann verwundert. „Ich sehe nur einen einzigen Sohn!“
 

Leo N. Tolstoi



Obwohl diese Geschichte schon etwas älter ist, kann man sie trotzdem in die heutige Zeit übertragen.
Wie oft hört man in Spielgruppen, Kindergärten, Schulen, Sportvereinen... Mütter erzählen, was ihre Sprösslingen so alles können.
Vergessen wir dabei nicht das Wesentliche?





4 Kommentare:

  1. Very interesting post dear <3

    ohladymania.blogspot.com

    .

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  2. Lovely post dear! Have a great day! xx

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  3. Da hast du ganz recht. Während meiner Arbeit erhielt ich einen Anruf von einem Juristen, seine Mutter sei im Krankenhaus, habe ein geringes Einkommen und könne die fällige Zuzahlung pro Tag nicht zahlen. Eine Rücksprache mit dem Kollegen ergab, dass die Frau allein 5 Kinder großgezogen hat, die alle studierten und gut bezahlte Berufe hatten, dennoch konnten sie die Mutter scheinbar nicht unterstützen.
    LG Elke

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  4. Ja, leider vergessen viele das Wesentliche. Im Laufe meiner Zeit als dreifach Mama habe ich mich häufig geärgert, aber mittlerweile sehe ich es gelassen - laut Tolstoi habe ich nämlich zwei Söhne und eine Tochter :)

    Liebe Grüße
    Mihaela

    PS Folge Dir nun auch

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